1815 Sprachlicher Anfangsunterricht – Sprachförderung und Sprachbildung

Sprachlicher Anfangsunterricht Praxis Unterricht Finken 5 Sprachförderung und Sprachbildung Anja Wildemann und Claudia Rathmann Material-CD mit farbigen Bildvorlagen und vielen Arbeitsblättern

Sprachlicher Anfangsunterricht Sprachförderung und Sprachbildung Handbuch und CD mit Beobachtungsbögen und vielen alltagstauglichen und erprobten Unterrichtsmaterialien von Anja Wildemann und Claudia Rathmann illustriert von Marlit Peikert 5

Sprachlicher Anfangsunterricht Band 5: Sprachförderung und Sprachbildung Best.-Nr. 1815 Autorinnen: Claudia Rathmann, Anja Wildemann Illustrationen Heft: Marlit Peikert Illustrationen CD: Marlit Peikert, M13 und M17 · „Wimmelbilder“; Seite 57: Barbara Stachuletz Redaktion: Doris Fischer, Tania Meyer Herstellung: Christina Kupka Satz: Therese Meissner Umschlaggestaltung: Ünsal Özbakir © 2015 Finken-Verlag GmbH, Oberursel Der Kauf von Kopiervorlagen berechtigt die Lehrpersonen der kaufenden Schule, beliebig viele Kopien für den Einsatz an dieser Schule herzustellen. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Anja Wildemann ist Professorin für Grundschulpädagogik mit dem Schwerpunkt Sprache an der Universität Koblenz-Landau. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Schriftspracherwerb, Sprachlicher Anfangsunterricht, Sprachbildung und Mehrsprachigkeit. Claudia Rathmann ist Fachleiterin für das Fach Deutsch am Seminar Grundschule im ZfsL Bonn und arbeitet jetzt an einer Grundschule. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Sprachlicher Anfangsunterricht, Literarisches Lernen und Medienbildung in der Grundschule.

© Finken-Verlag · www.finken.de 3 Inhaltsverzeichnis Sprachlicher Anfangsunterricht Band 5 Das Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Das sprachliche Können ist verschieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Verschiedene Spracherfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2 Verschiedene Sprachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.3 Kinder ohne Deutschkenntnisse – Seiteneinsteiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.4 Verschiedene Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Mündliche Sprache – schriftliche Sprache – Bildungssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.1 Mündlichkeit und Schriftlichkeit und Herausforderungen am Schulanfang . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2 Bildungssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.3 Fachsprache – auch im Deutschunterricht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Grundlegende Sprachbildung – systematisch und individuell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 Sprachbildung als (durchgängige) Aufgabe · Leitideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.2 Mündliches Sprachhandeln unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.3 Schriftliches Sprachhandeln unterstützen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Themenvorschläge für eine integrative Sprachförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.1 Sprache und Sachunterricht: Haustiere beschreiben und die Funktion von Adjektiven erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4.2 Sprache und Mathematik: Rechengeschichten folgerichtig erzählen und den Wortschatz erweitern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.3 Sprache und Kunst: Mit Puppen szenisch spielen und dabei die Stimme gezielt einsetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.4 Sprache und Bewegung: Einen Bewegungsparcour durchlaufen und dabei Präpositionen unterscheiden lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Anregungen für Sprachförderung in Kleingruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5.1 Ideen rund ums Sprechen und Zuhören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5.2 Den Wortschatz erweitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5.3 Leseförderung einmal anders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6. Unterrichtsvorschläge rund um das Thema „Zirkus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6.1 Zirkus in der Box: Literacy-Fähigkeiten beobachten und fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 6.2 Abrakadabra – zwei Stunden rund ums Zaubern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6.3 Zirkus mal 5: Eine Woche Zirkusluft schnuppern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.4 So bunt ist es im Zirkus – eine Unterrichtsidee für Seiteneinsteiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 7. Anhang Material M auf der CD · Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Finken-Materialien für den Sprachlichen Anfangsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Literaturauswahl zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Zur Orientierung im Band ✔ Checklisten ✱ Erläuterungen Tipps und weiterführende Hinweise M Material auf der CD

4 © Finken-Verlag · www.finken.de Sprachlicher Anfangsunterricht · Das Konzept Der Sprachliche Anfangsunterricht zählt zu den anspruchsvollsten Aufgaben in der Grundschule. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass er maßgeblich von den individuellen kindlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten abhängig ist. Wer heute in eine erste oder auch zweite Klasse hineinschaut, hat es mit einer bunten Mischung zu tun. Da sitzen Kinder, die schon selbst lesen können, neben solchen, denen noch nie vorgelesen wurde, Schülerinnen und Schüler, die fließend Russisch sprechen und Deutsch als Zweitsprache lernen, neben Muttersprachlern, die nur über einen sehr eingeschränkten Wortschatz verfügen. Die Liste der individuellen Besonderheiten ließe sich beliebig verlängern. • Wie kann es nun gelingen, dass am Ende von Klasse zwei alle diese Kinder angemessen lesen und schreiben können? • Was muss ich tun, damit jedes Kind gemäß seinen Fähigkeiten gefördert und auch gefordert wird? • Wie kann ich die in den Bildungsstandards geforderten Kompetenzen anzielen und zugleich die Individualität des Einzelnen im Blick behalten? Dies sind nur einige Fragen, die sich Lehrerinnen und Lehrer stellen, wenn sie ein erstes Schuljahr übernehmen. Ihr Unterricht findet statt im Spannungsfeld zwischen äußerst heterogenen Ausgangsbedingungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler und den für alle zu erreichenden Kompetenzen und Standards, zwischen den Forderungen der modernen Fachdidaktik, den fachspezifischen Lehrplänen und realistischen Formen der Umsetzung im Schulalltag. Viele wünschen sich mehr Unterstützung, insbesondere im Hinblick auf die gezielte Beobachtung und Analyse von Lernvoraussetzungen, aber auch konkrete Unterrichtsvorschläge, die sich daraus ableiten lassen. Leitideen und Ziele der Reihe Das Konzept der Reihe „Sprachlicher Anfangsunterricht“ setzt an diesen Bedürfnissen der Lehrerinnen und Lehrer an. Ziel ist es, den Lehrenden eine Unterrichtshilfe an die Hand zu geben, die den vielfältigen Anforderungen des Schulalltags Rechnung trägt, indem sie verständlich aufbereitete Informationen zur Fachdidaktik mit konkreten unterrichtlichen Anregungen verbindet. Diese Vermittlung zwischen Theorie und Praxis stellt ein zentrales Anliegen der Reihe dar. Sie soll Lehrkräften Sicherheit geben für ihr pädagogisch-didaktisches Handeln im Unterricht und sie zugleich ermuntern, auch einmal neue Wege zu gehen. Darüber hinaus spielen in jedem Band die folgenden Aspekte eine besondere Rolle: Kompetenzorientierung Die Qualität eines Sprachlichen Anfangsunterrichts muss sich vor allem daran messen lassen, wie erfolgreich er ist, d. h. inwiefern es ihm gelingt, die individuellen sprachlichen Kompetenzen der Kinder aufzugreifen und weiterzuentwickeln. In den landesweiten Bildungsstandards und den Lehrplänen für das Fach Deutsch werden die Anforderungen an das Lernen der Kinder in Kompetenzerwartungen konkretisiert. Diese beziehen sich auf alle Handlungsfelder des Deutschunterrichts. Dazu gehören neben dem Lesen- und Schreibenlernen auch das mündliche Sprachhandeln (Bereich: Sprechen und Zuhören) sowie die Anbahnung eines bewussten Umgangs mit Sprache (Bereich: Sprache und Sprachgebrauch untersuchen). Um Lehrende in ihrer Unterrichtsarbeit zu unterstützen, bieten die einzelnen Hefte der Reihe Informationen und Praxisangebote zu allen Bereichen an und verknüpfen diese gezielt mit den entsprechenden Kompetenzerwartungen.

© Finken-Verlag · www.finken.de 5 Schülerorientierung Sprachlicher Anfangsunterricht muss Kinder da abholen, wo sie stehen und von diesem Standort aus individuelle Lernziele und -wege aufzeigen und begleiten (Dehn u. a. 2011, Wildemann 2010a). Dies funktioniert jedoch nur dann, wenn Lehrerinnen und Lehrer in regelmäßigen Abständen die Lernvoraussetzungen und Lernstände in der Klasse analysieren und darauf didaktisch reagieren. Diagnostizieren und Fördern sind zentrale Aufgaben im heutigen Lehrberuf. Dies umso mehr, wenn man den Inklusionsgedanken ernst nimmt. Für die Lehrenden bedeutet das: Sie müssen sich zunächst über geeignete Diagnoseverfahren informieren und dann versuchen, diese möglichst ökonomisch in ihren Unterricht zu integrieren. Die Reihe greift dieses Problem auf, indem sie Vorschläge zur Erhebung von Lernvoraussetzungen für alle Handlungsfelder des Deutschunterrichts anbietet und mit entsprechenden Dokumentationsmaterialien (z. B. Beobachtungsbögen) verbindet. Es geht darum, eine kontinuierliche Verknüpfung von Beobachten und Unterrichten anzuregen und den Lehrerinnen und Lehrern zugleich Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie die Lernentwicklung des einzelnen Kindes systematisch dokumentieren und begleiten können. Praxisorientierung In einem guten Sprachlichen Anfangsunterricht muss es gelingen, vor dem Hintergrund der kindlichen Lernvoraussetzungen fachlich fundierte und methodisch vielfältige Lernarrangements zu entwickeln, die einerseits individuelle Lernwege zulassen, andererseits aber auch die für alle verbindlichen Kompetenzerwartungen im Blick behalten. Das bedeutet, dass die Lehrenden sich regelmäßig über den aktuellen Stand der Fachdidaktik informieren, Unterrichtsmaterialien auf ihre Effizienz hin überprüfen und gegebenenfalls alternative didaktische Zugänge ausprobieren sollten. In der schulischen Realität wird demgegenüber oft intuitiv auf bereits Vorhandenes und Vertrautes zurückgegriffen, weil sich die Lehrenden im Umgang mit den bekannten Materialien sicher fühlen und die Vorbereitung sich in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen bewegt. Die in der Heftreihe vorgestellten Unterrichtsideen sind zur Entlastung der Lehrenden gedacht. Sie zeigen auf, welche Kompetenzen sich mit den entsprechenden Vorhaben erzielen lassen, welche Differenzierungsmöglichkeiten sich ergeben und wie man die Unterrichtsideen ganz konkret umsetzen kann. Struktur der Reihe Die Heftreihe „Sprachlicher Anfangsunterricht“ umfasst fünf Themenbände. Dabei bietet jeder Band einen theoretisch fundierten Einblick in ein Schwerpunktthema sowie Anregungen, Hilfen und Materialien für die Praxis. Folgende Themen sind als Einzelbände erhältlich: Band 1: Lernvoraussetzungen feststellen und Unterricht gestalten Band 2: Lesen und Schreiben Band 3: Sprechen und Zuhören Band 4: Deutsch als Zweitsprache Band 5: Sprachförderung und Sprachbildung

6 © Finken-Verlag · www.finken.de Einleitung In der Mehrheit der Bundesländer werden bereits vor Schulbeginn die Sprachkompetenzen der Kinder überprüft, um mögliche „Risikofaktoren“ zu erkennen und frühzeitig zu fördern. Spätestens im letzten Kindergartenjahr erfolgen so genannte Sprachstandsfeststellungen, die als Indikator für einen erfolgreichen Schulstart gelten. Kinder, die hier als „auffällig“ eingestuft werden, erhalten in der Regel Sprachförderung. Diese kann integrativ, also eingebunden in den Kindergartenalltag oder additiv, d. h. zusätzlich stattfinden. Der Erfolg solcher Maßnahmen ist unterschiedlich und von verschiedenen Einflussfaktoren abhängig. Insbesondere für den Bereich Deutsch als Zweitsprache liegen zum Teil widersprüchliche Ergebnisse in Bezug auf die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen vor (vgl. Schneider /Becker-Mrotzek / Sturm u. a. 2013). In Sprachdidaktik und Bildungspolitik wird seit Jahren diskutiert, ob eine sprachliche Förderung additiv bzw. separat oder integrativ zu realisieren ist. Schneider, Becker-Mrotzek, Sturm u. a. kommen in ihrer Expertise zu dem vorläufigen Ergebnis, dass integrative Modelle gegenüber segregierenden Modellen tendenziell überlegen zu sein scheinen (vgl. ebd. 2013, S. 87). Neben der Frage um die beste Form der Sprachförderung sind in den letzten Jahren − hierzulande geprägt durch die FörMig-Gruppe (FörMig = Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund) − alternative Modelle konzipiert worden. Eines davon ist das Konzept der „durchgängigen Sprachbildung“ (vgl. Gogolin / Lange 2010), welches die sprachliche Bildung als grundlegende Aufgabe aller Fächer und Schulstufen ansieht. Im Vordergrund steht dabei der Erwerb der sogenannten Bildungssprache, deren Beherrschung in allen Institutionen, in denen Unterricht stattfindet, notwendig ist. Gerade für Schulanfängerinnen und -anfänger sind die sprachlichen Anforderungen in der Schule neu und komplex. Mit dem Schuleintritt beginnt für sie der systematische Übergang von der mündlichen in die schriftliche Sprache. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen, die die Kinder mitbringen, sehr unterschiedlich. Es ist eine wesentliche Aufgabe des Sprachlichen Anfangsunterrichts, diesen Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit erfolgreich zu gestalten. Dazu bedarf es eines Unterrichts, der von Beginn an sprachförderlich angelegt ist. Dessen Erfolg ist nicht nur abhängig von der Expertise der Lehrkräfte, sondern auch von einer angemessenen didaktischen Orientierung und dem Vorhandensein ausreichenden Materials für seine Umsetzung. So sind Lehrkräfte häufig auf der Suche nach Fördermaterialien und -programmen, mit denen sie Sprachförderung in sprachheterogenen Lerngruppen durchführen können. Und genau hier liegt oft die Schwierigkeit, denn die Voraussetzungen und Bedingungen unter denen Sprachförderung stattfindet, sind in der Regel ebenso wenig einheitlich wie die Kinder, die gefördert werden sollen. Wie sprachförderlicher Unterricht in heterogenen Lerngruppen realisiert werden kann, möchten wir mit diesem Band aufzeigen. Sie werden darin einige Hinweise für Unterstützungsangebote finden, die in den Unterricht eingebaut werden können. Außerdem finden Sie Vorschläge, wie man sprachliches und fachliches Lernen miteinander verbinden kann sowie Anregungen für die Sprachförderung in Kleingruppen. Ganz herzlich danken wir Viola Papenfoht für die Unterstützung bei der Entwicklung und Erprobung der Unterrichtsideen. Zu guter Letzt stellen wir Ihnen verschiedene Unterrichtsvorhaben rund um das Thema „Zirkus“ vor, mit denen Sie sowohl Sprachförderung als auch durchgängige Sprachbildung realisieren können. Ein wesentliches Ziel dieses Bandes ist es, Ihnen möglichst viele konkrete Hinweise für den Unterricht zugeben. Wir wünschen Ihnen viel Freude und Erfolg bei der Umsetzung.

© Finken-Verlag · www.finken.de 7 1. Das sprachliche Können ist verschieden Wenn Kinder in die erste Klasse kommen, können sie auf unterschiedliche Erfahrungen sowie individuelles Wissen und Können zurückgreifen. Die Entwicklungsstände in einer Anfangsklasse sind in der Regel nicht homogen, was eine enorme Herausforderung für die Unterrichtsgestaltung darstellt. Dies umso mehr, weil die Lernmaterialien, die Sie vermutlich schon lange vor dem eigentlichen Schulstart ausgewählt haben, in der Regel auf ein eher gleichschrittiges Vorgehen beim Lesen- und Schreibenlernen hin konzipiert sind, auch wenn Zusatzmaterialien wie z. B. Förderkarteien, eine gewisse Differenzierung gewährleisten können. Was geschieht aber, wenn sich herausstellt, dass einzelne Kinder der durch das Material vorgegebenen Lernprogression nicht gut folgen können oder andere gar unterfordert sind? Welche sprachlichen Voraussetzungen oder Hürden können im Sprachlichen Anfangsunterricht wirksam werden? Und wie gehen Sie damit um? Auch solche Fragen sollte man sich als Lehrkraft stellen, bevor man den Unterricht plant. Aus diesem Grund richten wir den Blick an dieser Stelle vor allem auf das sprachliche Können am Schulanfang. Ziel ist es, die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen die Kinder den Sprachlichen Anfangsunterricht durchlaufen, aufzuzeigen und ihnen Anregungen für deren Berücksichtigung im Unterricht zu geben. Dabei nehmen wir in einem eigenen Kapitel die Kinder in den Blick, die als sogenannte Seiteneinsteiger ohne Deutschkenntnisse in der Schule starten. 1.1 Verschiedene Spracherfahrungen Die meisten Kinder haben vor dem Schuleintritt einen Kindergarten besucht. Vor und noch während der Kindergartenzeit ist die Familie als primäre Sozialisationsinstanz der Ort, an dem die Kinder erste Erfahrungen rund um Sprache machen. Die Bedeutung der Familie für die Lesesozialisation ist bekannt (vgl. Garbe 2013, Hurrelmann u. a. 1993, Wieler 1996). Oft wird in der Schule davon ausgegangen, dass Schulanfängerinnen und -anfänger über umfassende Erfahrungen im Umgang mit Büchern (zumeist Bilderbüchern) verfügen. Dies ist längst nicht immer der Fall. Neben Familien, in denen viel gelesen und auch vorgelesen wird, gibt es ebenso Familien, in denen Bücher und andere Printmedien keine Rolle spielen. Anknüpfend an die unterschiedlichen Voraussetzungen müssen daher verschiedene Zugänge zum Lesen angeboten werden. Unterschieden werden können dabei: • Vorleseaktionen für die ganze Klasse, um literarische Erfahrungen zu ermöglichen • Begegnungen mit unterschiedlichen Medien (Bücher, Hörtexte, Zeitschriften) • Literacy-Center oder Literacy-Boxen (siehe Band 2, S. 12 f. und Kap. 6.1 in diesem Band) als schriftbezogene Primärerfahrungen • Freie Lesezeiten, in denen die Kinder eigenständig Bücher und andere Lesemedien auswählen können, um das genussvolle Lesen zu fördern • Verbindung von Hören und Lesen durch vertonte Bilderbücher, um an das Medium Buch heranzuführen • Verbindung von Sehen und Lesen, um das Lesen von Bildern zu üben. Hier eignen sich besonders kurze Filme, z. B. aus der Sendung mit der Maus Heterogene Ausgangslage

8 © Finken-Verlag · www.finken.de • Literarische Gespräche zu Bilderbüchern, um die Rezeption und das Herstellen von Zusammenhängen zu fördern • Szenische Umsetzungen von Bilderbüchern, um die Imaginations- und Empathiefähigkeit zu fördern Die mündlichen Kommunikationserfahrungen der Kinder spielen bei Schuleintritt ebenfalls eine Rolle. Auch hier ist die Familie die erste Sozialisationsinstanz. Bekannt ist, dass der kindliche Spracherwerb sowohl auf angeborenen als auch erworbenen Fähigkeiten basiert (Guasti 2011, S. 204, Szagun 2013, zusf. in Wildemann 2015, S. 52). Es wird davon ausgegangen, dass die Art und Weise, wie Eltern mit ihrem Kind sprechen, den Spracherwerb beeinflusst. Inwieweit Kinder Erfahrungen mit dieser Inputsprache ✱ machen, ist unter anderem von der jeweiligen (Sprach-)Kultur abhängig. Es gibt sowohl Kulturen, in denen die Ansprache an das Kind und damit die Inputsprache verbreitet ist, als auch solche, in denen Erwachsene nur sehr selten direkt mit dem Kind sprechen. In beiden Fällen erwerben Kinder ihre Erstsprache mühelos, weshalb Szagun vermutet, dass die elterliche Inputsprache vor allem ein „Produkt einer Kultur [ist], in der Kleinkinder viel Zeit mit einer Person, nämlich der Mutter, verbringen, und in der sie weniger am allgemeinen Leben der sozialen Gruppe teilnehmen“ (Szagun 2013, S. 238). Die Notwendigkeit einer an das Kind gerichteten Sprache (KGS) für den Spracherwerb verneint Szagun daher (ebd., S. 239), stellt aber auch fest, dass sich einige Aspekte der elterlichen Inputsprache förderlich auf den Spracherwerb auswirken. Dazu gehören Fragen, die an das Kind gerichtet werden, sprachliche Erweiterungen, bei denen verkürzte oder fehlerhafte Äußerungen der Kinder ergänzt werden, und Reformulierungen als Wiederholungen kindlicher Äußerungen in korrekter sprachlicher Form (ebd. S. 241 ff.). Die Kinder erhalten dadurch ein indirektes Feedback auf ihre Sprachäußerungen und durch die Ergänzungen oder Neuformulierungen sprachliche Muster, welche sie aufgreifen können. Neben diesen formalen Aspekten spielt vor allem der elterliche Interaktionsstil eine Rolle für die sprachliche Weiterentwicklung der Kinder. Eine ausgewogene Interaktion, in der die Kinder ausreichend Gelegenheit zum Sprechen erhalten und die Eltern sich als aufmerksame Sprecher und Zuhörer erweisen, wirkt sich förderlich aus. ✱ Inputsprache Die Inputsprache umfasst die Sprache, die das Kind aus seiner unmittelbaren Umwelt entnimmt. Da in der Regel die Eltern die ersten und engsten Bezugspersonen des Kindes sind, wird sie auch als „an das Kind gerichtete Sprache“ (KGS) bezeichnet (siehe dazu Szagun 2013, S. 227). Die elterliche Inputsprache weist bestimmte charakteristische Merkmale auf, wie z. B. langsameres Sprechtempo, höhere Tonlage und deutlichere Segmentierung von Wörtern und Silben. Mündliche Kommunikationserfahrungen Förderliche Elternsprache

© Finken-Verlag · www.finken.de 9 Im Gegensatz zu der Alltagsannahme, dass vor allem eine einfache Sprache mit vielen Wiederholungen hilfreich ist – besonders bei Kindern mit sprachlichen Einschränkungen –, kommt Szagun beispielsweise für Hörgeschädigte zu einer anderen Erkenntnis. Gerade eine inhaltlich und grammatikalisch reichhaltige Sprache beeinflusst den Spracherwerb positiv (ebd., S. 259 ff.). Überträgt man diese Erkenntnis zum Erstspracherwerb auf Kinder, die mit weniger sprachlichen Erfahrungen und Kompetenzen in die Schule kommen, lassen sich daraus Folgerungen für das Sprechen im Unterricht ableiten. Tipps für das Sprechen in der Schule • Richten Sie immer wieder Fragen an die Kinder, sowohl in Alltagssituationen als auch beim fachlichen Lernen, um Verständnis zu sichern und die Kinder zum Sprechen aufzufordern. • Seien Sie aufmerksam, wenn ein Kind spricht – und gedanklich nicht schon beim nächsten Schritt –, denn nur so können Sie beobachten, wie ein Kind spricht. • Erweitern sie unvollständige sprachliche Äußerungen von Kindern. Sie bieten auf diese Weise die richtige Sprachstruktur an und ermöglichen implizites Lernen. • Greifen Sie unvollständige oder fehlerhafte Sprachäußerungen von Kindern auf und formulieren Sie diese so um, dass den Kindern eine korrekte Version präsentiert wird. • Reduzieren Sie Ihre Sprachäußerungen nicht zu stark, sondern gehen Sie bei komplexen Äußerungen schrittweise vor, z. B. indem Sie zuerst mehrere Hauptsätze bilden und die Aussage erst danach in einem komplexeren Satz anbieten (siehe auch Kap. 3.2). • Binden Sie die für das Sprachlernen wichtigen Wiederholungen in verschiedene Sprachhandlungskontexte ein, so dass den Kindern stets die Funktion der sprachlichen Äußerung präsent ist. • Setzen Sie in Gesprächssituationen Impulse, die für das Sprechen des Kindes förderlich sind, z. B. gezielte Nachfragen, thematisches Anknüpfen an eine Äußerung oder Ermunterungen zum Weitersprechen. Deutlich wird, dass es nicht nur darum geht, sprachförderliches Material in den Unterricht zu integrieren, sondern auch darum, das eigene Sprachverhalten stärker zu steuern. Das ist gerade für Berufseinsteiger und -einsteigerinnen eine besondere Herausforderung. Hier kann es hilfreich sein, sich Schwerpunkte zu setzen und zunächst nur einen Aspekt in den eigenen Unterricht einzubauen und zu üben. Probieren Sie doch einmal eine Woche lang aus, unvollständige Äußerungen der Kinder zu erweitern oder umzuformulieren und prüfen Sie am Ende jeden Tages, ob und wie oft Ihnen dies gelungen ist. Ein Dokumentationsheft M2 hilft Ihnen bei der Entwicklung einer sprachförderlichen Haltung im Unterricht. 1.2 Verschiedene Sprachen Nicht nur die Sprachstände im Deutschen auch die Spracherfahrungen und -kenntnisse in anderen Sprachen unterscheiden sich voneinander. Einige Kinder können sowohl in einer als auch in mehr als einer Sprache sprechen, verstehen und manchmal auch lesen und schreiben. Dabei ist Reichhaltige Sprache M2 Dokumentationsheft Lehrerhandeln

10 © Finken-Verlag · www.finken.de Mehrsprachigkeit per se kein Nachteil für die Sprachentwicklung in der Schule. Ob Mehrsprachigkeit als Ressource von den Schulanfängerinnen und -anfängern genutzt werden kann, hängt vielmehr von verschiedenen Einflussfaktoren ab (Grießhaber 2010, Rothweiler /Ruberg 2014). Dies gilt auch für Kinder, die Deutsch als ihre zweite Sprache erwerben und die formal von mehrsprachigen Lernern unterschieden werden, obwohl eine solche Trennung in der Praxis nicht immer so eindeutig ist. Einige der Einflussfaktoren auf den Spracherwerb bei mehrsprachigen und DaZ-Kindern finden Sie in der nachfolgenden Übersicht aufgelistet. Sie gilt es im Unterricht zu berücksichtigen. Einflussfaktoren auf den Spracherwerb mehrsprachiger Kinder Einflussfaktoren auf den Spracherwerb von DaZ-Kindern Bilingualer Erstsprachenerwerb oder früher Erwerb mehrerer Sprachen Primärer Erwerb einer Erstsprache und nachgeschalteter Erwerb der Zweitsprache Deutsch Verlauf und Stand der Sprachbeherrschung in den verschiedenen Sprachen Verlauf und Stand der Sprachbeherrschung in der Erst- und der Zweitsprache Deutsch Umfang, Intensität und Qualität des Gebrauchs der verschiedenen Sprachen Sprachgelegenheiten für Deutsch als Zweitsprache sowie Kontaktzeit mit der deutschen Sprache (Kontaktalter), die im Vergleich zu Kindern, die von Beginn an die deutsche Sprache erworben haben, verkürzt ist Sprachwechsel (Code-switching) als gelungener Wechsel zwischen den Sprachen (kann auch bei DaZKindern beobachtet werden) Transfer zwischen Erst- und Zweitsprache, der positive (gelungene Übertragung) und negative Folgen (Fehler bzw. Interferenzen) haben kann Bedeutsamkeit der deutschen Sprache und damit zusammenhängend die Sprachlernmotivation Familiärer Sprachgebrauch und Sozialisation (Sprechen, Vorlesen, Lesen, Interaktionsstil, usw.) Weltwissen und damit einhergehend der Aufbau eines mentalen Lexikons Intelligenz bzw. kognitive Disposition als eine Voraussetzung für das (Sprach-) Lernen Die Übersicht verdeutlicht, dass die Einflussfaktoren auf das Sprachenlernen bei mehrsprachigen Kindern und Kindern mit Deutsch als Zweitsprache sehr ähnlich sind. Erkennbar sind zudem Überschneidungen zu Kindern mit Deutsch als Erstsprache, beispielsweise in den Bereichen familiäre Sozialisation, Weltwissen und Intelligenz. Um den sprachlichen Voraussetzungen von Kindern, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen, gerecht zu werden, sollte wenigstens eine grobe Erfassung der vorhandenen Sprachen erfolgen. Auch wenn es nicht möglich sein sollte, die Sprachkompetenzen in der Erstsprache oder den Erstsprachen systematisch zu erfassen, so kann die Wahrnehmung, dass es im Leben eines Kindes mehr als eine Sprache gibt, dazu beitragen, dies bei der Unterrichtsvorbereitung einzuplanen und sich im Umgang mit „Fehlern“ zu fragen, ob diese möglicherweise auf die Mehrsprachigkeit oder Zweitsprachigkeit zurückzuführen sind (mehr dazu in Band 4). Sensibilität für Mehrsprachigkeit

© Finken-Verlag · www.finken.de 11 Tipp Eine hilfreiche Übersicht über die verschiedenen Einflussfaktoren liefert die Expertise von Rothweiler und Ruberg „Der Erwerb des Deutschen bei Kindern mit nichtdeutscher Erstsprache. Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren.“ 2011, die Sie online erhalten unter: http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/WiFF_Expertise_12__RothweilerRuberg_Internet.pdf 1.3 Kinder ohne Deutschkenntnisse – Seiteneinsteiger Die Zahl der Kinder, die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen, hat aufgrund von erhöhten Flüchtlingsbewegungen zugenommen. Viele Schulen und Lehrkräfte stehen dieser Situation unvorbereitet gegenüber. Langfristige Lösungen sind bislang kaum in Sicht. Umso wichtiger ist es, individuelle Wege für Kinder ohne Deutschkenntnisse zu finden. Dabei geht es aber nicht allein um die Sprachaneignung, sondern stets auch darum, Verständnis für die besondere Situation der jungen Sprachlernerinnen und -lerner zu entwickeln. Für beides möchten wir Sie an dieser Stelle sensibilisieren. Dafür ist ein Blick in aktuelle Daten zu Flüchtlingsbewegungen und die individuelle Situation junger Flüchtlinge unabdingbar. Laut Zwischenbericht der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) waren Mitte 2014 über 13 Millionen Menschen auf der Flucht; das ist der höchste Wert seit 1996. (vgl. http://www.unhcr.de/service/zahlen-und-statistiken.html). Die UN geht sogar von einer Zahl von über 15 Millionen Menschen aus, 41% davon sind Kinder (vgl. http://www.un.org/ en/globalissues/briefingpapers/refugees/). Aufgrund anhaltender Unruhen in Osteuropa, Asien und Afrika ist auch in den nächsten Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, mit einem ähnlich hohen Flüchtlingsstrom zu rechnen. Viele dieser Menschen werden nicht in ihr Land zurückkehren können oder wollen, was bedeutet, dass gerade deren Kinder eine berufliche Perspektive in Deutschland benötigen. Bildung ist auf diesem Weg ein essentieller Baustein. Die Beschulung von neu zugewanderten Kindern ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Dies gilt bereits für die Schulpflicht. Während beispielsweise in Nordrhein-Westfalen laut Landesverfassung die Schulpflicht mit der Beantragung eines Asylantrags besteht, sind Kinder in Rheinland-Pfalz erst dann schulpflichtig, wenn ihnen ein Wohnort zugewiesen wurde. Besonders in Kommunen und Landkreisen, die nur wenige Kinder aufnehmen, werden Seiteneinsteiger/innen mehrheitlich im Rahmen des Regelunterrichts beschult. In stärker aufnehmenden Regionen werden häufiger Vorbereitungs- oder Auffangklassen eingerichtet, in denen die Kinder zunächst vor allem die deutsche Sprache erlernen sollen, um dann später am Unterricht in der Regelklasse teilnehmen zu können. Auch Mischformen, also separater Deutschunterricht und integrativer Regelunterricht (oft in den Nebenfächern), werden realisiert. Schneider, Becker-Mrotzek, Sturm u. a. weisen darauf hin, dass reine Submersionsmo- delle ✱ für den Anfangsunterricht nicht geeignet sind, da die Chancengleichheit hier nicht gewährleistet ist (vgl. Schneider, Becker-Mrotzek, Sturm u. a., S. 84). Zahlen und Fakten Schulpflicht und Unterrichtsformen

12 © Finken-Verlag · www.finken.de ✱ Submersion Im Fall der Submersion werden die Kinder mit anderer Erstsprache unabhängig von ihrem Sprachvermögen in der Sprache des Aufnahmelandes im Regelunterricht mit anderen Kindern beschult. Es handelt sich somit nicht im engeren Sinne um ein Modell für den Sprachunterricht, sondern beschreibt vielmehr die Tatsache der Nichtbeachtung vorhandener Sprachkenntnisse oder -lücken. In der Literatur wird auch von der „Swim-or-sink“-Methode gesprochen. (vgl. Cummins 1984, Siebert-Ott 2003) Kinder, die nach einer Flucht ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen – bisweilen mitten im Schuljahr – haben neben der Sprache häufig seelische Beeinträchtigungen. Dies wird im Bemühen um eine zügige Sprachaneignung und Integration oft noch zu wenig beachtet. Machen Sie sich bewusst, dass schon bestimmte Gesten, Mimik oder Tonlagen das Kind in Angst versetzen können. Wenn Sie nur wenig oder nichts über die Fluchterfahrungen Ihrer Schülerinnen und Schüler wissen, sollten Sie die kindlichen Reaktionsweisen gut beobachten und Ihr eigenes Verhalten ggf. an die besondere Situation anpassen. Das ist ein äußerst sensibler Bereich, der von Lehrkräften ein hohes Maß an Beobachtungsgabe und Aufmerksamkeit erfordert. Hier kann Sie die Unterstützung von Integrationshelfern, Sozialarbeitern oder freiwilligen Helfern mit eigener Fluchterfahrung als Lehrkraft entlasten. Hilfreich ist es, möglichst viele Angaben zu den Hintergründen der Kinder und ihren Familien zu haben. Außerdem sollten Sie alle Eltern der Klasse informieren, am besten auf einem Elternabend. Versuchen Sie nach den ersten Wochen auch gemeinsame Erlebnisse zu schaffen, durch die Vorbehalte abgebaut werden können, z. B. ein gemeinsames Klassenfrühstück, Materialerarbeitung für die Klasse oder die Mithilfe im Zirkusprojekt (siehe Kap. 6). Die konkrete Begegnung und der Wille, gemeinsam etwas für die Klasse herzustellen, können dazu beitragen, Berührungsängste von Kindern und Eltern abzubauen und den Integrationsprozess in der Klasse zu beschleunigen. Die nachfolgende Checkliste ✔ macht deutlich, welche Fragen Sie sich schon im Vorfeld stellen können, um Seiteneinsteigern und -einsteigerinnen einen guten Start in der neuen Klasse zu ermöglichen. ✔ Checkliste • Was weiß ich über das Kind oder die Kinder (Herkunft, Sprache/n, Alter, Schulbesuch, Aufenthaltsdauer in Deutschland, Wohnsituation, usw.)? • Habe ich die Eltern der Klasse informiert? Wie kann ich Eltern für das Thema sensibilisieren und ggf. aktivieren? • Wie informiere ich die Klasse? • Gibt es zusätzliche Unterstützung, z. B. Doppelbesetzung? • Welche Materialien habe ich, welche benötige ich noch? • Gibt es Kolleginnen oder Kollegen mit Erfahrung, die mich unterstützen können? Fluchterfahrungen Elternabend

© Finken-Verlag · www.finken.de 13 • Gibt es andere Unterstützung, z. B. durch Sozialarbeiter oder Integrationshelfer? Anders als bei Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, verfügen Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger in der Regel über sehr geringe oder gar keine Deutschkenntnisse (siehe dazu auch Band 4). Im Gegensatz zu älteren Seiteneinsteigern, die häufiger bereits in ihrer Erstsprache alphabetisiert sind, ist dies bei Schulanfängerinnen und -anfängern meist nicht der Fall. Sie können also nicht auf schriftsprachliche Kompetenzen in ihrer Erstsprache zurückgreifen, um die deutsche Sprache zu erlernen. Und anders als die DaZ-Kinder verfügen sie auch nicht über alltagssprachliche Kompetenzen im Deutschen. Das stellt Seiteneinsteiger vor eine doppelte Herausforderung: Sie müssen sich das Deutsche im Mündlichen und Schriftlichen aneignen, während die Schulsprache zugleich die Sprache ist, die sie erst noch erlernen sollen. Um dies zu gewährleisten ist eine Mischung aus gemeinsamem Unterricht im Klassenverband und Deutschunterricht in Kleingruppen zu empfehlen. Der Unterricht in Kleingruppen sollte dabei bestimmte Prinzipien berücksichtigen. Tipps für den Deutschunterricht in Kleingruppen mit Seiteneinsteigerinnen und einsteigern • Vereinfachte Lehr-Lernmaterialien mit gut strukturierten Aufgaben • Gezielte Wortschatzarbeit, eingebettet in handlungsorientierte und spielerische Kommunikationskontexte, die viele Wiederholungen bieten • Sprachförderlicher Lernraum mit unterschiedlichen Lernangeboten, z. B. einem Literacy-Center (siehe Band 2 und Kap. 6.1 in diesem Band), Spielen, Spielgegenständen usw. • Bild-Wörter-Bücher in den Erstsprachen und Deutsch • Mehrkanalige Aufgabenstellungen, um das Verstehen zu fördern (Sprache, Bilder, Zeichnungen, Symbole …) • Gleichbleibende oder ähnliche Übungsformate • Ritualisierte Unterrichtsgestaltung • Mehr Lernzeit für einzelne Aufgaben und Aktivitäten • Einfache Hörmaterialien zur Schulung des Hörverstehens (z. B. Komm zu Wort! Hör-Bilder-Buch, Finken-Verlag) • Einfache Filme (z. B. Die Sendung mit dem Elefanten 1–3 des Goethe Instituts) • Korrektives Feedback und eindeutiges, aber freundliches Korrekturverhalten, damit die Kinder ihren Sprachgebrauch nach und nach verändern können • Thematisierung ausgewählter sprachlicher Phänomene, z. B. die Verbstellung im Satz, Genusmarkierung durch den Artikel, Pronomen • Fehleraufmerksamkeit, insbesondere wenn Kinder in der Gruppe zur Festigung eines sprachlichen Fehlers neigen Kinder, die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen, werden jedoch in der Regel nicht ganztätig in Kleingruppen unterrichtet, sondern nehmen zudem am Regelunterricht der Klasse teil.

14 © Finken-Verlag · www.finken.de Das ist für die soziale Integration sehr wichtig. Allerdings stellt dies Lehrkräfte vor das Problem, einerseits den Regelschulkindern gerecht werden und andererseits die Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger integrieren zu wollen. Es wird sich mit Sicherheit nicht immer vermeiden lassen, dass Kinder mit keinen oder sehr geringen Deutschkenntnissen etwas nicht verstehen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie den Kindern durch Rituale und wiederkehrende Methoden zunehmend Sicherheit und die Möglichkeit geben, sich am Unterricht zu beteiligen . Durch die häufigen Wiederholungen lernen sie zudem neue Wörter, Redewendungen u. a. dazu. Geeignete Rituale, an denen alle Kinder der Klasse teilhaben können, sind: Tipps für geeignete Rituale • Begrüßung am Morgen (Lied, Vers, spezielle Begrüßungsformeln) • Lockerungsübungen, die sprachlich begleitet werden • Zeichen für Stille- und Redephasen • Methoden der Partnerfindung für Partnerarbeitsphasen, (z. B.: Methodenprofi, Finken-Verlag) • Lobkärtchen mit Symbolen und/oder Schrift • Hilfekarten mit Formulierungsvorgaben (siehe Band 3, CD M4 ) • Verabschiedung am Schulende • Ritualisierte Kreisgespräche (z. B. Wie geht es dir heute?) • Spiele oder Methoden zur Wiederholung oder Einführung von Inhalten (z. B. 5-Minuten-Kopfrechnen, „Anlautteller“ als Einstieg bei jedem neuen Buchstaben) Auch im gemeinsamen Deutschunterricht kann darauf geachtet werden, dass Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern möglichst viele Gelegenheiten der aktiven Teilhabe angeboten werden. Dazu bedarf es zunächst einer sprachförderlichen Haltung der Lehrkraft, die sich auch durch Rückschläge nicht entmutigen lassen sollte, die Kinder immer wieder zum Mitmachen zu animieren. Was es in einem solchen Unterricht grundsätzlich zu bedenken gibt, ist nachfolgend abgebildet . Tipps für eine sprachförderliche Haltung im gemeinsamen Deutschunterricht • Geben Sie den Kindern viele Gelegenheiten, um Sprache rezeptiv und produktiv anzuwenden, denn Sprache wird vor allem im Sprachgebrauch erlernt. Eine Unterrichtsidee dazu finden Sie in Kapitel 6.4. • Unterscheiden Sie zwischen formellen und informellen Lerngelegenheiten. Formelle Lerngelegenheiten sind von Ihnen im Vorfeld strukturierte Lernformen (z. B. Wortschatzübungen), informelle Lerngelegenheiten können z. B. im Spiel stattfinden. Gerade im Anfangsunterricht sollten möglichst viele informelle Lernformen angeboten werden, da sich Kinder in diesem Alter in der Regel recht zügig Aspekte der deutschen Sprache aneignen. • Stellen Sie Material bereit, mit dem die Sprachrezeption und -produktion unterstützt wird, z. B. eindeutige Bilder, Gegenstände, eingeführte, einfache Symbole, vereinbarte Gesten. Rituale im Regelunterricht

© Finken-Verlag · www.finken.de 15 • Versuchen Sie bei der Auswahl der Materialien die Interessen der Kinder mit einzubeziehen, um deren Motivation für den Spracherwerb zu fördern. • Machen Sie gezielt Angebote für die Literacy-Förderung (z. B. sehr einfache Bilderbücher, Fotos von Beschriftungen aus dem Umfeld, Foto-Namenslisten von der Klasse, Memos …). Einen Vorschlag für eine Literacy-Box zum Thema „Zirkus“ finden Sie in Kapitel 6.1. • Ermöglichen Sie das Sprechen in unterschiedlichen Sozialkontexten, z. B. mit einem selbst gewählten Partnerkind oder mit Ihnen selbst. Dabei können auch Handpuppen hilfreich sein. Eine gute Sprechgelegenheit ist auch das Aufsprechen auf ein Aufnahmegerät, welches später gemeinsam mit dem Kind angehört werden kann. • Klären Sie die anderen Kinder in der Klasse über die Situation auf und geben Sie ihnen Hilfen für die Kommunikation mit dem betreffenden Kind. • Motivieren Sie die Seiteneinsteigerkinder, sich ggf. einen Lernpartner oder eine Lernpartnerin auszuwählen, der oder die sie unterstützen. • Ermutigen Sie die Kinder immer wieder freundlich zum Sprechen. Trotz der vielen Tipps wird es weiterhin Situationen geben, in denen die Kinder ohne Deutschkenntnisse nicht in gleichem Maße am Unterricht teilnehmen können wie die anderen Schülerinnen und Schüler. Auch darauf sollten Sie vorbereitet sein. Wenn Sie beispielsweise mit der Klasse in der Fibel arbeiten wollen, aber wissen, dass einige Kinder aufgrund der fehlenden Deutschkenntnisse diese Aufgabe nicht werden bewältigen können, sollten Sie eine Alternative bereithalten. Es ist in diesen Lernphasen wichtig, dass die Kinder nicht segregiert, sondern integriert werden. Konkret heißt das, dass alle Kinder am gleichen Lerngegenstand lernen, ihnen jedoch differenzierte Zugriffs- und Umgangsweisen ermöglicht werden. Das können angelehnt an das Fibelmaterial beispielsweise sein: Bilder aus der Fibel zum Benennen oder Beschriften, Bilderfolgen für das einfache Erzählen, Bild- und Wortkarten, die einander zugeordnet werden, Situationen, die nachgespielt werden oder Sortieraufgaben (z. B. Gegenstände). Hilfreich ist es außerdem, Bilder und Wörter mit wichtigen Begriffen aus Alltag und Schule bereitzuhalten, damit Kinder ohne Deutschkenntnisse sich zumindest rudimentär verständigen können. Eine Auswahl dazu finden Sie auf der Material-CD M3 . Verwendete Bilder (und Wörter) können von den Kindern in DINA-5-Hefte eingeklebt und als „Wörterbuch“ – auch außerhalb der Schule – verwendet werden. 1.4 Verschiedene Kinder Bislang wurden vor allem sprachliche Aspekte im Hinblick auf die Heterogenität am Schulanfang und in den ersten beiden Schuljahren betrachtet. Spracherfahrungen, Spracherwerb – ein- oder mehrsprachig – und fehlende Deutschkenntnisse bei Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern wirken sich direkt auf die weitere Sprachaneignung in der Schule aus. Darüber hinaus gibt es andere Faktoren, die sich eher indirekt auf die sprachliche Entwicklung auswirken. Dazu gehören u. a. Begabung, Behinderung, Motivation und Selbstkonzept und nicht zuletzt auch das Geschlecht. Was über die genannten Faktoren für den Sprachlichen Anfangsunterricht relevant ist, wird nachfolgend dargestellt. Gleicher Lerngegenstand – unterschiedliche Lernwege M3 BilderWörterListe

16 © Finken-Verlag · www.finken.de Begabung In der Diskussion um Heterogenität am Schulanfang wird häufig vergessen, dass wir auch diejenigen Kinder in der Klasse haben, die eine Förderung „nach oben“ benötigen. Sie können beispielsweise bereits lesen und schreiben und langweilen sich schnell im herkömmlichen Anfangsunterricht. Auch aus diesem Grund ist eine Diagnose der Lernvoraussetzungen in den ersten Schulwochen unbedingt zu empfehlen (siehe Band 1). Vermuten Sie, dass eine Hochbegabung vorliegt, sollte das Kind unbedingt entsprechend getestet werden. Seit 2001 gibt es, herausgegeben von der Bund-Länder-Kommission, einen Orientierungsrahmen für die Begabtenförderung (siehe online unter: http://www.pedocs.de/volltexte/2008/284/ pdf/heft91.pdf). Darin heißt es in Bezug auf den Grundschulunterricht: „Ein markantes Merkmal der Grundschule im Hinblick auf die Schülerpopulation ist, dass sie Kinder mit allen Begabungshöhen, mit allen Lerngeschwindigkeiten und Auffassungsformen sowie Defiziten und Lernschwächen aufnimmt. Diese breite Skala der Befähigungen, der Aufnahmege- schwindigkeiten und Auffassungsgaben ist für Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer einerseits faszinierend, bereitet andererseits aber auch Schwierigkeiten im Hinblick auf eine „kindorientierte“ Unterrichtsgestaltung. Hier liegen Reserven für die Förderung begabter Kinder innerhalb des Unterrichts“. (S. 14 f.) Lehrkräfte sollten aufmerksam sein, um eine mögliche Hochbegabung zu erkennen. Scholz (2014, S. 31 f.) nennt dafür Merkmale, auf die besonders zu achten ist. Dazu gehören: • besondere kognitive Fähigkeiten • hohes Detailwissen • außergewöhnlich differenzierter Wortschatz und sehr gute Ausdrucksweise • Überspringen von Entwicklungsphasen • vorzeitige Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten • Abneigung gegen häufige Wiederholungen • ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstständigkeit Liegt die Vermutung für eine Hochbegabung vor, kann ein Intelligenztest weitere Auskunft geben. Durch die verschiedenen Aufgaben in einem solchen Test werden ggf. Begabungsschwerpunkte erkannt. Wurde eine Hochbegabung festgestellt, sind unterschiedliche Fördermaßnahmen denkbar. Neben der Förderung im Unterricht wird im Orientierungsrahmen darauf hingewiesen, dass Kinder bei diagnostizierter Hochbegabung in den meisten Bundesländern ein Schuljahr überspringen können. Auch eine Einschulung in die zweite Klasse ist in der Regel möglich. Weitere Informationen wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2009 herausgegeben. Orientierungsrahmen für Begabtenförderung Merkmale für Hochbegabung

© Finken-Verlag · www.finken.de 17 Der Ratgeber „Begabte Kinder finden und fördern. Ein Ratgeber für Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer“ enthält zahlreiche Informationen für alle Beteiligten (Online unter: http://dms-schule.bildung. hessen.de/allgemeines/begabung/Andere_Bundeslaender/Bundesbildungsministerium/begabte_kinder_finden_und_foerdern.pdf). Auf organisatorischer Ebene werden darin drei Fördermodelle vorgeschlagen: Akzeleration (beschleunigtes Lernen) Enrichment (vertieftes Lernen) Kombination von Akzeleration & Enrichment (Spezielle Klassen und Schulen) • Vorzeitige Einschulung • Altersgemischte Klassen und flexible Eingangsstufe • Überspringen von Klassen (individuell oder in Gruppen) • Teilunterricht in höheren Klassen • Individualisierung • Arbeitsgemeinschaften • Wahl zusätzlicher (Leistungs-)Kurse • Bundes- und landesweite Schülerwettbewerbe • Kooperationen mit Universitäten und Wirtschaftfsunternehmen • Schüleraustauschprogramme • Intensivkurse • Akzelerierte Klassen („Schnellläufer-“ oder „D-Zug-Klassen“) • Schulen mit zweisprachigen Zügen • Spezialschulen und Schulen mit Hochbegabtenklassen • Frühstudium Fördermodelle bei Hochbegabung (Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung 2009, S. 60) Die genannten Fördermodelle beinhalten vorwiegend Maßnahmen zur äußeren Differenzierung. Hinzu kommt jedoch die unterrichtsimmanente Förderung, die von Ihnen als Lehrkraft zu leisten ist. Elemente einer unterrichtsimmanenten Förderung können sein: • Individualisierte Lernmaterialien und Aufgaben (ggf. aus höheren Klassenstufen) • Lesematerialien für ein höheres Lesealter (ggf. auch Fachzeitschriften zu Hobbies der Kinder und Zeitungen) • Kombinierte Lernaufgaben, die unterschiedliche Rezeptions- und Produktionswege ermöglichen, z. B. Gedichte in schriftlicher und vertonter Version oder Filmadaptionen von Büchern • Zunehmende Partizipation der Kinder an der Lerngestaltung (z. B. Wochenplan, Freiarbeit, Projektarbeit) • Portfolioarbeit, um individuelles und vernetztes Lernen zu verstärken und Lernerfolge sichtbar zu machen • Arbeitsgruppen z. B. im Rahmen des Ganztagsunterrichts, wie „Philosophieren“ (siehe dazu Calvert 2011) • Forscheraufgaben (auch fächerübergreifend) • Jahrgangsübergreifende Fördergruppen, in denen komplexere Aufgaben gemeinsam bearbeitet werden Unterrichtsimmanente Förderung

18 © Finken-Verlag · www.finken.de Behinderung Im Jahr 2008 trat die UN-Behindertenkonvention in Kraft; in Deutschland hat sie seit dem Jahr 2009 Gültigkeit. Angestrebt wird seitdem die gemeinsame Beschulung aller Kinder und die Auflösung eines Schulsystems, in dem insbesondere Kinder mit Behinderungen in separierenden Schulen, Förderschulen, beschult werden (siehe auch Wildemann 2015, S. 44). Dass die Inklusion bundesweit nur sehr langsam voranschreitet, belegt der aktuelle Chancenspiegel aus dem Jahr 2014 , der feststellt, dass die Beschulung in separaten Förderschulen in den letzten Jahren stagniert. Tipp Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse finden Sie im Internet unter: http://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/BSt/ Publikationen/GrauePublikationen/Chancenspiegel_2014_ Kurzfassung.pdf Die gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung ist in den Bundesländern unterschiedlich weit vorangeschritten. In der Regel stellt der Unterrichtsalltag eine Herausforderung für Grundschullehrkräfte dar, insbesondere da die Sonderpädagogin oder der Sonderpädagoge zumeist nur wenige Stunden in der Woche mit in der Klasse ist. Welche Hilfen ein Kind mit zusätzlichem Förderbedarf benötigt, hängt sehr stark von seiner Behinderung und seinem Lernpotenzial ab. Daher sind Absprachen mit und Beratung durch die sonderpädagogische Fachkraft unbedingt erforderlich. Sie kennt außerdem ggf. Materialien, die Sie auch in ihrer Abwesenheit nutzen können. Wir können an dieser Stelle keine Hilfen für jede Behinderungsart formulieren, möchten Ihnen aber dennoch einige grundlegende Tipps geben, was im inklusiven Sprachlichen Anfangsunterricht zu beachten ist: Tipps für den inklusiven Anfangsunterricht • Treffen Sie mit der sonderpädagogischen Fachkraft Absprachen für individuelle Fördermaßnahmen, die Sie ggf. auch allein umsetzen können. • Gestalten Sie den Klassenraum gemeinsam mit der sonderpädagogischen Fachkraft. Richten Sie Rückzugszonen genauso wie Lernecken ein und stellen Sie verschiedene Lern- und Spielmaterialien auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus bereit. Hier kann die Sonderpädagogin oder der Sonderpädagoge Sie unterstützen. • Einigen Sie sich mit der sonderpädagogischen Fachkraft auf Symbole, Bilder und Piktogramme, um diese im Unterricht zu nutzen. • Ermöglichen Sie Lernphasen, in denen behinderte und nichtbehinderte Kinder am gleichen Lerngegenstand auf unterschiedlichen Niveaus lernen können. • Gestalten Sie Ihren Unterricht möglichst offen und zugleich strukturiert. So können Sie individuelle und differenzierende Lernangebote machen. Inklusive Beschulung Unterrichtsalltag

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